Auf mehrfache Nachfrage habe ich mich entschlossen, zu erzählen, wie Erika und ich uns kennenlernten:
Kapitel 1
„Frau im besten Alter, schlank, 1,74 Meter groß, grüne Augen, unabhängig mit viel Lebenserfahrung sucht alleinstehenden Mann, zwecks gemeinsamer Freizeitgestaltung.“ Danach, unüblich, eine E-Mail Adresse, die ich mir nicht merkte.
Eine Anzeige wie es sie zu tausenden gab. Samstags saß ich oft bei einer großen Tasse Kaffee am Küchentisch und las die Zeitung, als Letztes die Kontaktanzeigen, die gelegentlich interessante Variationen aufwiesen. Diese war nichts Besonderes, eher langweilig, austauschbar. Daher las ich die anderen, vergaß sie für den Moment und kümmerte mich um die allgemeinen häuslichen Aufgaben, die ich zu erledigen hatte, irgendwann gemacht werden mussten. Danach war Freizeit angesagt.
Seit ein paar Wochen war ich im vorzeitigen Ruhestand getreten, hatte es geschafft. Ich musste nicht mehr arbeiten, hatte Zeit wie Sand am Meer. Was mir vorher nicht in den Sinn gekommen war, war die Tatsache, dass zu viel freie Zeit belastend sein konnte. Vorher hatte ich einen geregelten Tag, freute mich auf das Wochenende, die Aktivitäten, die ich dann ausführen konnte. Das war jetzt anders. Natürlich war ich die erste Zeit begeistert von dem, was ich alles machen konnte, ohne auf irgendwas oder wen Rücksicht nehmen zu müssen, mit der Zeit wurde mir klar, das es keine Ewigkeit weitergehen konnte. Die Dinge, die ich erledigt haben wollte, waren geschafft, die Wohnung renoviert, alles gemacht, was ich zuvor liegen gelassen hatte. Jetzt war alles fertig. Und nun? Natürlich hatte ich mir ein Hobby zugelegt, zwei sogar, sie füllen den Tag nicht aus und in Momenten wie diesem, zeigte sich, dass alleine sein nicht immer wohltuend war. Kaffee zu trinken und gegen die Wand starren war kein abendfüllendes Programm, selbst wenn das Radio im Hintergrund lief.
Mich zu binden war nicht die Lösung, ich konnte Menschen nicht laufend und ausdauernd ertragen, brauchte gelegentlich das Alleinsein, meine Freiheit, in anderen Stunden hatte ich das Bedürfnis nach Gesellschaft. Zuvor konnten die Kollegen diese menschliche Nähe ausfüllen, waren einen großen Teil des Tages um mich herum und manches mal wünschte ich mir, dass es weniger wären. Dies fehlte mir in bestimmten Momenten. Wenn überhaupt, schwebte mir eine Beziehung vor, die jedem von uns genug Freiraum ließ, ein lockeres Zusammensein ohne Zwang.
Wenn ich was nicht ausstehen konnte, war es eine klammernde Partnerschaft, dafür war ich kein Typ. Bei zu viel Enge, fühlte ich mich nicht mehr wohl. Es machte mir nichts aus jemanden eine Woche oder einen Monat nicht zu sehen, um sich dann umso mehr drauf zu freuen, wenn man sich traf. Vielleicht brauchte ich das einfach.
Ob es das geben konnte, vor allem für mich, war schwer. Ich musste zugeben, es war nicht einfach, mit mir auszukommen. Gelegentliche Stimmungsschwankungen waren nicht an der Tagesordnung, doch es gab sie, wenn, konnten sie teilweise irrational sein, es kam wie aus dem Nichts, war nie böse gemeint. Das verstanden die wenigsten Menschen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich niemanden kennengelernt, der damit klar kam, selten hielt es jemand länger mit mir aus. Eine Frau musste aus einem besonderen Holz geschnitzt sein, um mich auszuhalten. Verstellen konnte ich mich nicht, entweder sie nahm, was sie bekam, wie ich war oder ließ es bleiben. Hart gesagt, anders funktionierte es einfach nicht. Dafür gewann sie einen meistens liebe- und verständnisvollen Mann, der für sie alles tat, was er konnte.
Vielleicht gab es eine solche Frau, mir war sie nie über den Weg gelaufen. Schicksal, Karma oder wie man es nennen sollte. Vielleicht würde ich sie nie finden. Um ehrlich zu sein, ich suchte nicht aktiv danach, wollte es auf mich zukommen lassen. Es musste nicht, wenn doch, dann war ich bereit.
Mit diesen Gedanken im Kopf, trank ich den Kaffee aus, legte die Zeitung beiseite und machte einen Spaziergang, erfreute mich an dem schönen Wetter, aß ein Eis beim Italiener um die Ecke, sah mir die Menschen dabei an, die vorbei liefen. Ich mochte es, fragte mich oft, wie sie lebten, ob sie glücklich waren. Die meisten machten ein zusammengekniffenes Gesicht und sahen gehetzt aus. Stress in reinster Form. Das, was ich nicht mehr hatte. Ruhestand hatte seine Vorteile.
Zwei Stunden später lief ich nach Hause, hatte nichts weiter vor. Einkaufen musste ich nicht mehr, alles war erledigt. Das hieß, Puschenkino oder das gute Buch, das ich mir gekauft hatte. Auf anderes hatte ich keine Lust.
Als ich die Haustür aufschloss, sie öffnete, hörte ich es aus der Küche rascheln. Ich hatte dort das Fenster offengelassen, wollte lüften. Am Tag zuvor hatte ich Fisch gebraten und der Duft hing in dem Raum fest. Abhilfe schaffte Durchzug und ein Schälchen mit Kaffeepulver, das ein angenehmes Aroma verbreitete.
Also ging ich dem Geräusch nach und als ich in die Küche kam, lag die Zeitung aufgeschlagen auf dem Boden, der Luftzug hatte sie vom Tisch geweht. Ich beugte mich herunter und zufällig blieben meine Augen auf einer Textzeile hängen.
„Frau im besten Alter, schlank, 1,74 Meter groß, grüne Augen.......!“
Irgendwo hatte ich gelesen, das die Farbe grün am seltensten vorkam und ich erinnerte mich an eine Dame, die ich vor Jahren kennengelernt hatte. Sie selber ist mir kaum im Gedächtnis geblieben, das sie rote Haare hatte. Besonders an ihr, waren die jadegrünen Augen gewesen, die mich faszinierten. Alles andere trat dabei in den Hintergrund. Alleine wegen dieses Merkmals, hätte ich sie sofort genommen, leider war sie vergeben und ihr damaliger Partner war nicht bereit gewesen, sie an mich abzutreten. Wahrscheinlich wollte sie mich auch nicht, spielte keine Rolle. Ich hätte sie mitgenommen, mich ihr gegenüber hingesetzt und wäre in ihren Augen ertrunken, nicht mehr oder weniger. Andere Verwendungsmöglichkeiten wären nicht ausgeschlossen gewesen, nicht vorrangig. Vielleicht hatte ich daher die Faszination für Frauen mit grünen Augen entwickelt.
Ich legte die Zeitung auf den Tisch und betrachtete die Seite, mein Blick fiel mehrmals auf die Anzeige. Sie blieb mir in Erinnerung, selbst als ich das Blatt im Altpapier entsorgt hatte.
Abends dachte ich darüber nach und fragte mich, warum ich es nicht versuchen sollte. Was hatte ich zu verlieren? Vielleicht würde sie mir nicht einmal antworten, ich war sicher nicht ihr Typ. Damit redete ich mich heraus, ging ins Bett und versuchte zu schlafen.
„Frau im besten Alter, schlank, 1,74 Meter groß, grüne Augen....!“, erschien es in überdimensionierten Buchstaben vor mir, in heller, neonfarbener Schrift, natürlich in Grün. Die Fantasie gaukelte mir was vor, hatte sich im Kopf festgesetzt.
Wenn ich es mir überlegte, entsprach sie meinem Geschmack. Sie wäre wenig kleiner als ich, schlank hörte sich gut an, unabhängig war essenziell. Ich war alleinstehend, hatte ebenfalls Lebenserfahrung, alles war bei mir, wie sie es sich wünschte. Mehr hatte dort nicht gestanden, weder Alter noch Aussehen. Es ging um die Gestaltung der Freizeit, es spielte eine untergeordnete Rolle. Es konnte sein, dass mehr draus werden könnte, das war nicht vorherzusehen. Oder anders, vielleicht war sie es, die mein Leben bereichern konnte, war der Traum, den ich mir in der Realität wünschte. Zufälle gab es, wieso nicht hier?
Stundenlang wälzte ich mich hin und her, wog ab, malte mir alle möglichen Szenarien aus, grübelte über jedes Ergebnis nach, was dabei herauskommen könnte. Das war eine Gewohnheit von mir, oft schlug ich mir die Nächte damit um die Ohren, konnte nicht schlafen. Hier war es ähnlich und ich bekam erst am frühen Morgen zwei Stunden Ruhe. Es würde nicht mein Tag werden.
Erst als ich aufstand, wurde mir klar, dass ich die Zeitung entsorgt hatte, ich auf die Anzeige nicht antworten konnte. Schnell wie es ging, rannte ich raus, wollte sie aus dem Altpapier fischen und stellte zu meiner großen Enttäuschung fest, das der Behälter geleert worden war, in der Zeit, als ich geruht hatte. Ich fluchte laut, sah zum Himmel und hoffte, dort eine Antwort auf meine Dummheit zu finden. Es gab keine, ich hatte verloren. Enttäuscht ging ich zurück, machte mir Vorwürfe falsch gehandelt zu haben.
Diese blieben die ganze Woche vorhanden, bis ein neuer Samstag kam, an dem die Anzeigen in der Zeitung standen. Ich hatte wenig Hoffnung, schlug sie trotzdem gespannt auf und es elektrisierte mich in dem Moment, als ich sie entdeckte.
„Frau im besten Alter, schlank, 1,70 Meter groß, grüne Augen....“
Entweder sie hatte niemanden gefunden oder nicht den Richtigen, vielleicht stimmte was mit ihr nicht? Beides konnte sein und eine erneute Überlegung wert, die zu nichts führen würde. Eine Antwort konnte ich auf die Frage nicht bekommen, indem ich drüber nachdachte. Sie alleine wusste die Lösung.
Wenig später saß ich an meinem Computer und tippte die E-Mail Adresse ein, fragte mich das erste Mal, was ich schreiben könnte. Natürlich wollte ich, dass sie auf mich aufmerksam wurde, mein Text sollte sich hervorheben. Auf der anderen Seite nicht billig oder übertrieben wirken. Daher fiel mir eine Lösung ein, die im ersten Moment nicht lächerlich klang.
Ich kopierte einfach die Anzeige von ihr und tauschte die Worte aus, die sich auf mich bezogen:
„Mann im besten Alter, schlank, 1,81 Meter groß, braun/grüne Augen, unabhängig mit viel Lebenserfahrung, sucht alleinstehende Frau, zwecks gemeinsamer Freizeitgestaltung.“
Danach meine E-Mail Adresse, mehr nicht. Sicher nicht einfallsreich und ich erwartete nicht einmal, dass sie mir zurückschrieb und wenige Sekunden, nachdem ich mich überwunden hatte, die Mail abzuschicken, bereute ich den Text. Ich hätte länger drüber nachdenken, kreativer sein sollen. Dafür war es zu spät und ich musste damit leben, ein Dummkopf gewesen zu sein.
Daher wunderte ich mich, als keine Stunde später eine Antwort erschien.
„Hallo, vielen Dank das du mir geschrieben hast. Ich wäre daran interessiert, dich kennenzulernen. Ich würde mich freuen, wenn wir uns morgen treffen können. Kennst du den alten Brunnen im Stadtpark? Wie wäre es um 18 Uhr? Ich würde mich freuen, wenn du kommst.
Erika!“, schrieb sie und schaffte damit Klarheit. Genau wie ich es mochte, geradlinig, ohne viele Schnörkel auf den Punkt. Was mich betraf, schien sie keine weiteren Fragen zu haben. Ich fand es seltsam, die meisten Menschen hätten sich erst abgetastet, nach Hobby, Beruf und allgemeinem Zeug erkundigt, bevor ein Treffen stattfand. Erika schien anders geartet zu sein.
„Ja, ich kenne den Brunnen, werde pünktlich sein!“, schrieb ich zurück, fragte sie nichts weiter, passte mich ihrer Art an und wollte sie nicht mit der ersten Mail überrennen. Alles andere würde sich zeigen und ich ging davon aus, das es zu einem hohen Prozentsatz ein Reinfall werden würde. Versuch macht klug und was hatte ich zu verlieren. Es war unverbindlich und kostete nichts, ich ließ mich auf ein kleines Abenteuer ein, das ein gutes Ende nehmen konnte. Wenn ja, der Zufall meines Lebens, warum nicht?
Am nächsten Tag war ich ungewohnt aufgeregt und ich fühlte mich wie ein Schüler vor seinem ersten Rendezvous. Auf eine Annonce hatte ich nie zuvor geantwortet, kein Blind Date gehabt, wie es heutzutage genannt wurde, und ich fragte mich, ob ich hingehen sollte. Im Nachhinein erschien es mir seltsamer als zuvor, und mir kamen die wildesten Fantasien in den Kopf. Überfall war die Erste, vielleicht wurde ich von einer Gruppe gedungener Raubmörder angelockt, damit sie mich bestehlen und erstechen konnten. Der Treffpunkt lag recht abseits, wurde gegen Abend selten besucht und mit einem geschickt geführten Messer, würde ich kein Laut von mir geben, wenn meine letzte Minute auf Erden angebrochen war.
Es konnte eine Gruppe Teenager sein, die sich über mich amüsierten, wenn ich ankam, mich einen alten Trottel schimpften und verspotteten, weil ich es nötig hatte, auf eine solche Anzeige zu reagieren.
Das Gegenteil war genauso möglich, vielleicht wartete eine Dame auf mich, gegen die die Venus in der Muschel eine hässliche Gans war. Ein Traum von einer Frau, vor der ich auf die Knie sinken würde, sie anhimmeln, vergöttern und der glücklichste aller Menschen werden würde.
Ich wusste es nicht und konnte es nur herausbekommen, wenn ich hinging. Eine zweite Alternative gab es nicht.
Es blieb mir nichts anderes übrig, um es herauszufinden. Also zog ich mich dem Anlass entsprechend gut an, nicht übertrieben, wir trafen uns im Park, nicht auf einer Gala im Theater. Einfach und gut, dazu überlegte ich, ob ich ein paar Blumen mitnehmen sollte, entschied mich dagegen, wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, fand es zu kitschig. Klischee, nicht mein Ding.
Zur Sicherheit steckte ich ein größeres Taschenmesser ein, man konnte nie wissen. Damit umgehen konnte ich nicht, würde vielleicht Respekt erzeugen, wenn ich es für nötig erachtete, es zu ziehen. Ich wollte meine Haut teuer verkaufen, wie es ging.
Gut ausgestattet, wartete ich ab, bis die Zeit gekommen war loszugehen. Es war nicht weit, eine halbe Stunde würde genügen.
Wie es meine Natur ist, erschien ich pünktlich am Treffpunkt und wartete eine Weile. Hier vertrieb ich mir die Zeit, empfand es nicht als schlimm, dass sie noch nicht da war. Der Brunnen lag idyllisch in dem Park, umgeben von alten Bäumen und weil es warm genug war, machte es mir nichts aus, mich an der Natur zu erfreuen. Ich lehnte mich rückwärts an den Brunnenrand, summte ein freundliches Lied, das ich in dem Moment erfand und genoss die Ruhe, den Frieden um mich herum. Die Zeit verging, sie kam nicht.
„Hmmmm!“, machte ich und sah auf das Display meines Smartphones, auf dem ich Mails empfangen konnte wie am PC, prüfte nach, ob ich das Gerät auf Laut gestellt hatte, es wäre ein dummer Fehler gewesen, wenn ich es überhört hätte. Eine eingehende Nachricht war nicht verzeichnet, dass sie die Verabredung abgesagt hatte. Nichts deutete darauf hin, das sie sich in irgendeiner Form für ihr Fernbleiben entschuldigte oder einen Grund hatte, nicht zu erscheinen.
Eine halbe Stunde gab ich ihr Zeit, mehr nicht. Ich wollte sie nicht heiraten, sondern einfach kennenlernen.Also sah ich mehrmals auf die Armbanduhr, verfolgte wie die Zeiger langsam die Endposition einnahmen, legte zehn Minuten drauf, um sicherzugehen, versetzt worden zu sein. Es hätte mich nicht gewundert und war von Anfang an darauf gefasst, alleine zu bleiben.
Gerade als ich entschied, den Platz zu verlassen, tippte ein Finger auf meine Schulter. Sofort zuckte ich gewaltig zusammen, hatte niemanden kommen gehört oder gesehen, zumal die Person hinter mir sein musste, und dort war das Loch des Brunnens.
„Hallo junger Mann, kann ich was für dich tun?“, hörte ich eine Stimme direkt an einem Ohr, ohne das ich die Person sehen konnte. Was sofort auffiel, war, das es sich seltsam anhörte. Die Stimme war weiblich, rau, mit einem leichten Blubbern im Hintergrund, als wenn die Person sprach, gleichzeitig ein Glas Wasser im Rachen hatte, gurgelnd. Ich wagte es zuerst nicht, mich umzudrehen, blieb wie erstarrt stehen, Sekunden, die sich länger anfühlten, als sie es waren.
„Eigentlich nicht, ich habe auf jemanden gewartet!“, brachte ich heraus.
„Auf wen, wenn ich frage darf?“, hörte ich sie ruhig und leise sagen, die Neugierde war deutlich in der Stimme zu erkennen.
„Ein Date, ich kenne sie nicht, nur ihre E-Mail Adresse, sonst nichts!“, antwortete ich wahrheitsgemäß, warum sollte ich lügen.
„Wenn du sie nicht kennst, nicht einmal ihren echten Namen, dann könnte es doch sein, das ich dieses Date bin oder nicht?“, hakte sie logisch nach, im Prinzip hatte sie recht.
„Wie hat sie sich denn beschrieben?“, schob sie gleich eine zweite Frage hinterher.
„Im Prinzip könntest du es sein, richtig!“, antwortete ich, brauchte nicht lange um es ihr zu sagen, die Anzeige hatte sich in mein Gehirn gebrannt.
„Frau im besten Alter, schlank, 1,74 Meter groß, grüne Augen, unabhängig mit viel Lebenserfahrung sucht alleinstehenden Mann, zwecks gemeinsamer Freizeitgestaltung!“, konnte ich aus dem Gedächtnis auswendig abrufen.
„Machst du das öfters?“
„Was?“
„Fremde Frauen kennen lernen, vor allem an so abgelegenen Plätzen wie hier?“
„Es war ihr Vorschlag, nicht meiner!“, verteidigte ich den Treffpunkt.
„Und wenn ich dir jetzt sage, das ich Erika bin, was wäre dann?“, fragte sie nach, ihre Stimme wurde dabei eindringlicher, ich spürte einen kalten Hauch an der Wange, ein leicht modriger Geruch wie nasses Moos, zog mir in die Nase, nicht unangenehm.
„Dann würde ich dich gerne näher kennen lernen!“, war ich mir sicher, hörte dabei ein leises Kichern hinter mir, das nicht echt klang.
„Bist du dir da sicher?“, hörte ich sie mit eindringlicher Stimme, lauter als zuvor, es ließ mich zusammenzucken. Es war klar gewesen, dass was nicht stimmte, dieses Gefühl wurde umso stärker, je länger ich mich mit Erika unterhielt.
„Nicht wirklich!“, war ich mir nicht mehr klar darüber, ob ich die richtige Wahl getroffen hatte.
„Entscheide dich, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Ja oder nein!“, wollte sie wissen, ihre Stimme hatte dabei ein Grollen angenommen, wie ich es vorher nie bei einem Menschen gehört hatte. Es ließ mich zusammenfahren, machte mir Angst, anders konnte ich es nicht beschreiben.
„Ich bin wegen Erika hier, also möchte ich sie auch kennenlernen, wenn du es bist!“
„Klar bin ich Erika. Dann dreh dich von mir aus um, aber vorsicht, ich sehe ein wenig anders aus, als du es dir vielleicht vorgestellt hast!“
Um ehrlich zu sein, klopfte mir das Herz bis in den Hals, als ich mich ihr zuwendete, ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, und hätte nie gedacht, was ich zu sehen bekam. Meine kühnsten Träume brachten nicht die Fantasie auf, um sich auszudenken, wer oder was Erika war.
Es waren lange, schwarze Haare, darunter ein nachthemdartiges, weißes Shirt, das ihr bis an die Knie reichte und am Saum dreckig erschien, was ich als erstes sah. Heraus lugten dünne Beine und Hände mit langen Fingern in ungesunder, gräulicher Farbe. Ihre Füße schienen über dem Brunnenrand zu schweben. Mehr konnte ich nicht erkennen, ihr Gesicht war von den Haaren verdeckt und ließen keinen Schluss zu, was sich darunter befand.
Seltsamerweise schoss mir bei dem Anblick als Erstes in den Sinn, warum ich mir über mein äußeres Gedanken gemacht hatte. Erika entsprach nicht im Ansatz der Norm, ich hätte im Pyjama kommen können. Bei dem Geistesblitz musste ich lächeln, es wurde zu Erikas Auftreten gepasst.
„Was ist so komisch?“, merkte Erika sofort an. Wie sie es durch die Haare hindurch sehen konnte, war mir ein Rätsel.
„Nichts wichtiges!“, gab ich vor, doch damit kam ich bei Erika nicht weit.
„Sag schon, sehe ich etwa lächerlich aus?“, fragte sie, wobei ihre Stimme lauter und eindringlicher wurde, als wenn sie sich über mich ärgern würde.
„Nein, eher ungewöhnlich, das musst du doch zugeben!“, meinte ich und ich konnte sehen, wie sie ihren Kopf neigte, als wenn sie an sich selber herunter sah.
„Findest du?“, wurde ihre Frage leiser und sanfter als zuvor, das seltsame Gurgeln in ihrer Kehle blieb die ganze Zeit lang vorhanden.
„Jupp, und ich frage mich, wie du so hierher gekommen bist. Die Menschen denen du begegnet bist, müssen dich doch angestarrt haben oder nicht?“
„Weil ich vielleicht gar nicht hier herkommen musste?“, antwortete Erika mit einer Gegenfrage.
„Dann frage ich mich, woher du gekommen bist?“, ging ich darauf ein, zu meiner eigenen Überraschung war ich ruhiger geworden, Erikas Erscheinung war zwar nicht normal, im Gegenteil, doch irgendwie interessierte sie mich. Ich mochte schon immer Exoten, wie ich sie nannte, Menschen die nicht der Norm entsprachen.
„Du bist nicht ganz normal oder?“, entgegnete Erika mir und ich musste lachen.
„Ich glaube, wir haben was gemeinsam, ich finde, darauf lässt sich aufbauen!“, war ich der Meinung und hörte das bekannte Kichern von Erika.
„Es ist verrückt, weißt du das eigentlich?“
„Was?“
„Eigentlich hatte ich was ganz anderes vor, aber irgendwie interessierst du mich, du bist anders als alle anderen, die mich jemals gesehen haben. Seit vielen Jahren das erste Mal!“
„Wieso?“, hakte ich nach.
„Du bist der Erste, der nicht schreiend wegläuft und sein Ende damit nur unwesentlich herauszögert. Das verdient meinen Respekt!“, war sie sich sicher.
„Mein Ende? Wie meinst du das?“, wollte ich wissen, es kam mir seltsam vor.
„Wer mich sieht, der ist verloren!“
„Sagt wer?“, war mir nicht klar, ich fand es leicht bis mittelschwer übertrieben.
„Weißt du denn gar nicht wer ich bin?“, war es Erika, deren Stimme wieder lauter und eindringlich wurde, dazu stelle sie sich aufrecht wie eine eins hin, um größer zu erscheinen als vorher, bedrohlich, was ich nicht nachvollziehen konnte. Sie war dürr genug, dass ich sie aus dem Hemd pusten konnte, von daher keine Gefahr für mich, trotzdem hielt ich das Messer bereit. Man konnte nie wissen.
„Nein, aber deswegen bin ich doch hier, um das herauszubekommen. Schon vergessen, wir haben ein Date, wollten uns kennenlernen. Die Anzeige in der Zeitung war doch von dir!“
„Ich bin ein Onryo, ein rachsüchtiger Geist, eine verbitterte Seele!“, rief Erika laut und schrill, das es mir in den Ohren klingelte.
„Sag mal, kannst du das nicht leiser sagen? Außerdem, wir alle haben unsere Probleme, aber das müssen wir doch nicht beim ersten kennenlernen auf den Tisch werfen oder? Ich habe es auch oft nicht leicht, oder glaubst du wirklich, du bist die einzige bei der im Leben was schief gegangen ist?“
Erika senkte ihren Kopf ab, normalerweise musste sie mich direkt im Blick haben, die Haare verdeckten ihr die Sicht.
„Du bist verrückt!“, vermutete Erika erneut, sackte leicht in sich zusammen.
„Habe ich was anderes behauptet?“, meinte ich und zu meinem Erstaunen, setzte Erika sich umständlich und mit eckigen Bewegungen auf den Brunnenrand, ließ ihre Beine baumeln. Ich setzte mich neben sie, vorsichtiger, wollte nicht rückwärts hinunterstürzen.
„Es heißt, es bringt Unglück, verrückten Menschen etwas anzutun!“, hörte ich sie murmeln, konnte damit nichts anfangen.
„Vielleicht? Ich kann da nichts zu sagen, und was heißt hier antun?“
Erika schüttelte mit ihrem Kopf, die Haare flogen hin und her.
„Lass gut sein, du machst mich einfach fertig!“
„Ach ja, du hast geschrieben, du hättest grüne Augen. Stimmt das?“, fuhr ich fort, wollte ein wenig Konversation machen. Irgendwo musste ich den Hebel ansetzen.
Erika schüttelte erneut ihren Kopf, als wenn sie meine Neugierde nicht verstehen konnte.
„Im Ernst?“, hörte ich sie murmeln, als wenn sie aufgegeben hatte, egal, um was es ging.
„Jupp, würde mich interessieren!“
Erika drehte ihren Kopf in meine Richtung, hob einen Arm an und zog einen winzigen Teil der Haare beiseite. Darunter war sattes, grünes, Leuchten zu erkennen, kräftiger als ich es jemals gesehen hatte, übertraf die Frau mit den jadefarbigen Augen um Längen. Leider ließ Erika es mich nicht genauer sehen, zog den schwarzen Vorhang sofort wieder davor.
„Wow!“, schaffte ich, über die Lippen zu bringen, mehr nicht.
„Zufrieden?“, fragte Erika mich, und ich nickte.
„Könnte ich mich dran gewöhnen!“, gab ich zu.
„Ich weiß echt nicht was ich mit dir anfangen soll!“, fuhr Erika fort, ihre Stimme klang, als wenn sie aufgeben würde. Der Druck dahinter, der zuvor zu hören war, war verschwunden.
„Mich besser kennenlernen und ich dich!“, war mein Vorschlag und erschrak, als Erika sich auf einmal nach hinten fallen ließ. Ich konnte nicht schnell genug darauf reagieren, um sie festzuhalten, und schreckte zusammen, als sie in der bodenlosen Dunkelheit des Brunnens verschwand. Tief unten platschte es kurz, danach trat unheilvolle Stille ein.
„Geht es dir gut, kann ich dir helfen?“, fragte ich, stand auf und beugte mich über den Rand, um nach unten zu sehen.
„Geh weg, geh einfach weg!“, kam es mir entgegen und ich meinte ein paar grüne Augen von unten herauf leuchten zu sehen.
„Wenn du es wünscht, aber ich würde gerne wiederkommen, wenn du nichts dagegen hast! Ich mag dich irgendwie!“, rief ich hinunter.
„Hau endlich ab!“, war ihre Antwort, danach blieb es still, egal was ich sagte. Daher ging ich langsam nach Hause und war tief in Gedanken versunken. Wenig später saß ich in der Küche und sinnierte über alles nach, war müde und schlief mit dem Kopf auf dem Tisch ein.
Es musste ein Traum gewesen sein, anders konnte ich es mir nicht erklären. Seltsam und intensiv, die Realität sah farblos aus, ein solches Abenteuer gab es nicht, konnte nicht sein, würde mir nie passieren.
Als ich wenig später aufwachte, die Position war zu unbequem, um es länger auszuhalten, war ich mir sicher. Alles geträumt, das konnte nicht ich gewesen sein. Wie Erika gesagt hatte, andere liefen weg und blieben nicht cool wie ich im Traum. Oder mussten verrückt sein. Erika wusste Bescheid.